Natürlich ist klar, dass der Fahrer nach wie vor die letzte Verantwortung hat und bereit sein muss einzugreifen, wenn die Fahrerassistenzsysteme regeln. Unseres Erachtens kann das aber nicht für (teils schwerwiegende) Fehlfunktionen der Systeme gelten, bei denen sich das Fahrzeug verselbständigt und völlig unplausible, nicht vorhersehbare Fahrmanöver einleitet.

Adaptive Cruise Control (ACC) wird folgendermaßen im Handbuch in der Version vom 23.9.2020 beschrieben:

„Vorausschauende Geschwindigkeitsregelung: Wenn das Fahrzeug über eine Verkehrszeichenerkennung und ein Infotainment-System mit Navigation verfügt, kann ACC die Geschwindigkeit vorausschauend an erkannte Geschwindigkeitsbegrenzungen und den Streckenverlauf anpassen (ausstattungsabhängig und nicht in allen Ländern verfügbar).“

Das bedeutet: Wenn man auf der Autobahn beispielsweise mit 130 km/h fährt und ACC aktiviert und diese Geschwindigkeit per Set-Funktion setzt, übernimmt das Steuermodul diesen Fahrerwunsch. D.h.: Der Wagen fährt exakt mit dieser Geschwindigkeit selbsttätig, bremst ebenso selbsttätig – etwa, wenn der Abstand zu einem vorausfahrenden Auto zu gering wird/ist oder Kurven für die eingestellte Geschwindigkeit zu eng sind. Ist eine solche Situation vorbei, beschleunigt das Auto anschließend selbsttätig wieder auf die eingestellte Geschwindigkeit oder die neue erlaubte Höchstgeschwindigkeit. Im Beispielfall durch Abfahren von der Autobahn auf 100 km/h. Zur Veranschaulichung zeigt dieses Video genau die beschrieben Situation:

https://www.youtube.com/watch?v=NROEARxUoSQ&t=434s

Bereits dokumentierte Softwarefehler

Dass Fahrerassistenzsysteme Fehler aufweisen, die jenseits der normalen Funktion und der üblichen in der Praxis auftauchenden scheinbaren, aber beherrschbaren Sonderheiten liegen, zeigen folgende Beispiele.

Beispiel 1

https://www.youtube.com/watch?v=SWdq4LAisOI

Ein Fahrzeug befindet sich auf der Autobahn in einer 80er Zone und hat ACC auf die Geschwindigkeit 83 km/h eingestellt. Am Ende der 80er Zone erkennt die Verkehrszeichenerkennung das unbegrenzt Schild. Daraufhin setzt der Wagen eine neue Höchstgeschwindigkeit und beschleunigt. Hierbei verwendet er als Zielgeschwindigkeit aber den vollkommen unplausiblen Wert 180km/h. Dieser ist unplausibel, weil vom Hersteller voreingestellt und nicht veränderbar durch den Fahrer die Zielgeschwindigkeit für Autobahnen bei 130km/h liegt. Darüber hinaus ist die maximal mögliche Geschwindigkeit für das vorliegende Fahrzeug 160 km/h. Dies ist eindeutig ein Softwarefehler.

Beachtenswert ist auch der hohe Ausschlag der blauen Leiste im Fahrerdisplay, hier nochmal als Bild. Dies zeigt an, wie stark der Wagen beschleunigt. Auch dies spricht dafür, dass diese unvorhersehbaren Situationen mit großer Beschleunigung den Fahrer überraschen können.

Beispiel 2

In einem weiteren Fall dokumentiert ein Fahrer des anderen betroffenen Fahrzeugtyps, dass ihm regelmäßig an exakt immer derselben Stelle in Nürnberg die Systeme Spurhalteassistent, Verkehrszeichenerkennung und Frontassist ausfallen:

https://youtu.be/4orP1tY66Rw?si=krX63zsQV0dj_vor&t=50s

Das Auslesen des Fahrzeugs durch die Werkstatt ergab keinen Eintrag im Fehlerspeicher laut Fahrer und zugehöriger Vertragswerkstatt. Dies ist einerseits dadurch begründet, dass Fehler erst vom System detektiert werden müssen, bevor sie abgespeichert werden. Dazu werden in der Echtzeit-Softwareprogrammierung häufig Watchdogs verwendet, die auf regelmäßige Lebenszeichen von Softwaremodulen warten. Bleiben diese eine gewisse Zeit aus, werden die nicht antwortenden Module neugestartet oder direkt das ganze betroffene System.

Darüber hinaus ist für Level 2 Systeme gar nicht zwingend vorgesehen, dass sie Einträge in den Fehlerspeicher ablegen, denn sie zeigen ihren Ausfall ja im Fahrzeug an.

Und darüber hinaus werden Fehlereinträge auch wieder gelöscht, wenn die Funktion eine gewisse Anzahl Male wieder fehlerfrei funktioniert hat, dies wird als Verlernzähler bezeichnet. Siehe hierzu das Handbuch des Herstellers des onboard Diagnose Systems VCDS Seite 13.

Dies macht es umso wichtiger, dass ein verunfallter Wagen nicht bewegt wird und es Auslesemöglichkeiten dieser internen Funktionen gibt, die auch unabhängigen Gutachtern zur Verfügung stehen.

Die Werkstatt vermutet übrigens eine Induktionsschleife als Auslöser für den im Video dokumentierten Ausfall der Assistenzsysteme. Fachkollegen vermuten, dass man in diesem Video einen Reset sehen kann. Die Anzeige des Ausfalls und nach einer gewissen Zeit wieder die Verfügbarkeit der System deuten darauf hin

Beispiel 3

Hier beschreibt ein User im Forum, dass sein Wagen kurzfristig nicht den Fahrerwunsch an das Gaspedal angenommen hat. Der Fahrer war daraufhin in der Werkstatt und es hat kein Eintrag im Fehlerspeicher gelegen.

In wie weit ein Unfall einen Ausfall eines Systems maskieren kann, in dem das Detektieren des Fehlers erst nach dem Unfall stattfindet und dann nicht klar ist, was Ursache des Unfalls war (ein ausgefallener Sensor) und was Konsequenz des Unfalls ist (ein durch den Unfall zerstörter Sensor) lässt sich nicht unbedingt auseinander halten. Das bedeutet, dass das Abspeichern von Fehlermeldungen der Fahrerassistenzsysteme Grenzen hat. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass zu einem etwaigen Unfallzeitpunkt nicht eine Beschleunigung durch ein fehlerhaftes Fahrerassistenzsysteme stattgefunden hat. Der Aussage des Fahrers sollte somit eine viel höhere Gewichtung zu kommen.

Kann man sich bei so einem komplexen System auf den Unfalldaten- und den Fehlerspeicher verlassen?

Was ein Fahrzeug aufzeichnet, wenn die oben beschriebenen Level 2 Assistenzsysteme gerade einen Reset machen und ob dies die Aufzeichnung beeinflusst, kann nicht ausgeschlossen werden. Ein Reset bedeutet in jedem Fall immer ein kurzzeitiges Initialisieren aller Werte mit Standardwerten, bevor wieder echte Messwerte von den Sensoren in den System ankommen. Die Ausfälle der Assistenzsysteme und was sie im Fahrzeug verursachen, sind in den Videos dargelegt.

Ob diese sehr spezielle Situation Teil der Systemtest sind und in Kombination mit Unfallaufzeichnung im Bereich der Crashanalyse getestet werden, ist nicht bekannt.